Stephanie Busse
betreibt zwei auf Schwerstbehinderte spezialisierte Logopädie-Praxen mit mehreren Angestellten. Die aktuelle Lage bringt ihren normalen Arbeitsalltag nahezu zum Erliegen. Die therapeutische Arbeit findet im engen Kontakt mit den Patient*innen, oft mit Körperkontakt statt und hat viel mit dem Mundbild zu tun. Entsprechend massiv ist die Einschränkung, wenn man mit Mundschutz arbeitet.
Was macht die momentane Situation mit Ihnen und Ihrem Unternehmen?
„Das Infektionsrisiko ist für beide Seiten hoch. Die Desinfektions-Routine haben wir zwar schon aus der Arbeit mit den Risikopatient*innen (Schlucken, Beatmung), aber die meisten Patient*innen haben bis auf weiteres abgesagt. Einige wenige trauen sich noch in die Praxis, aber die Nacharbeiten (Desinfektion) nehmen so viel Zeit in Anspruch, dass die Taktung nicht mehr funktioniert. Gerade die Risikopatient*innen bleiben zurzeit unterversorgt. Einen Vorrat an Masken, Handschuhen und allen Sorten Papier haben wir nicht, sodass wir aus hygienischen Gründen bald den verbliebenen Betrieb auch einstellen müssen.“
Helfen denn die staatlichen Förderprogramme weiter?
„Das Kurzarbeitergeld ist sinnvoll, um die Gehälter meiner Angestellten zu sichern. Ich persönlich gebe gerade meinen Jahresurlaub dran ohne Erholungseffekt. Die meiste Sorge bereitet mir, wie ich meine Angestellten halten soll, wenn die Situation länger anhält. Die Landesmittel der Soforthilfe II habe ich nicht beantragt, weil ich dachte, bei mir wird der Ausfall erst in 2-3 Monaten massiv durchschlagen. Jetzt habe ich das Nachsehen, da durch den Bundes-Zuschuss mein eigenes Gehalt nicht abgedeckt wird. Ich habe es jetzt trotzdem beantragt, damit ich wenigstens Unterstützung bei der Praxismiete habe.“
Für die meisten ihrer Angestellten hat Stephanie Busse Kurzarbeit gemeldet. Da die Gehälter für Logopäd*innen nicht sehr hoch sind, müssen einige deshalb ergänzend Grundsicherung beantragen. Bei ihr zeigt sich deutlich, dass Unternehmerinnen durch diese Krise auch deshalb in Schwierigkeiten kommen, weil die Situation vorher schon prekär war.
„Als Logopädin habe ich in den letzten 20 Jahren keine großen Rücklagen aufbauen können. Die Krankenkassen haben die Tarife so weit gedrückt, dass am Ende der Gesetzgeber einschreiten musste, um sie zu zwingen, eine angemessene Bezahlung zu bieten. Anders als andere Selbständige kann ich meine Bezahlung ja nicht selber festlegen. Mitte letzten Jahres kam die Tariferhöhung der Krankenkassen, die mich zum ersten Mal in die Situation einer normalen Arbeitgeberin mit einer entsprechenden langsam entstehenden Reserve für Ausfälle versetzt hat. Diese Reserve ist durch den Ausfall seit Mitte März bereits angegriffen, und wird im April wieder aufgebraucht sein. Meine Angestellten haben ebenso wenig Reserven.“
Fehlende Informationen verunsichern zusätzlich
„Bisher ist von offizieller Seite niemand an mich herangetreten, um über die Lage zu informieren. Das Gesundheitsamt hat keine Richtlinien bezüglich des Betriebes in den freien Praxen veröffentlicht. Telefonisch ist niemand zu erreichen. Ich bin als nichtmedizinische Heilberuflerin aufgerufen, den Betrieb aufrecht zu erhalten, ohne die entsprechende Absicherung der medizinischen Berufe zu haben. Gleichzeitig wird meine Klientel angewiesen, zu Hause zu bleiben und Kontaktrisiken zu vermeiden. Nach der Information aus der Öffentlichkeit müsste ich die Praxis schließen. Eine Schließung von Amts wegen ist nur im Falle einer nachgewiesenen Infektion entschädigungsfähig. Mein Team kann sich ohne Nachweis einer Infektionskette nicht testen lassen. Ich habe also während der Arbeit ständig erhebliche Bedenken, jemanden anzustecken und warte permanent auf den ersten Krankheitsfall, in dem perversen Gemisch aus Sorge und dem Wunsch nach Erlösung aus dem Spagat. Ich bin Stunden um Stunden mit dem Sammeln und Bewerten von Informationen beschäftigt. Ich muss mangels Information von berufener Stelle Entscheidungen treffen, deren Ergebnis ich nicht genau einschätzen kann. Ich versuche meine und die Moral der Kolleg*innen aufrecht zu erhalten und Entscheidungen erst zu treffen, wenn ich deren Meinung gehört habe. Dabei quält mich und mein Personal der Widerspruch zwischen dem vollkommen korrekten Aufruf zur Isolation und der Angst um die Existenz im Regelungsvakuum.
Die ungewisse Dauer der Situation und die daraus entstehenden sozioökonomischen Abgründe unbekannter Tiefe geben mir das Gefühl, während eines drohenden Tsunamis mit allen anderen am Strand zu stehen und das Wasser zieht sich zurück, ganz weit und immer weiter. Psychisch ist das schwer auszuhalten, der kommenden Welle entgegenzusehen, wenn kein Berg in der Nähe ist. Mit einer bitteren Distanz denke ich, dass ich jetzt herausfinden werde, wie lange ich in einer Trümmerlawine schwimmen kann.“
Gibt es auch etwas Positives?
„Ich bin nun besser aufgestellt, um Patient*innen auch teletherapeutisch betreuen zu können. Diesbezüglich kam die Genehmigung zur Abrechenbarkeit mit den Krankenkassen jetzt wegen Corona, dabei wäre das schon seit langem möglich. Jetzt improvisieren wir zusammen mit unseren Patient*innen. Dabei nehmen unsere Patient*Innen z. Z. in Kauf, dass meine Praxis bisher keinen Zugang zu datenschutzrechtlich gesicherten Portalen für die Ärzt*innen und Psycholog*innen hat, obwohl die Therapien vertraulich sind. Wir haben die ersten Erfahrungen mit Video-Therapien gemacht, aber die Ergebnisse sind sehr unterschiedlich, je nach Patient*in. Viele Familien sind videokommunikativ gar nicht ausgestattet, oder haben nur einen Computer für alle zuhause und müssen die entsprechende Software und ihre Anforderungen erst bewältigen.“
Gut an der Situation findet sie auch, dass die Therapien mit den Kindern jetzt wieder auch vormittags stattfinden können, sodass die Kinder fit und aufnahmefähig sind und die Kolleg*innen zurzeit wieder normale Arbeitszeiten haben. Seit der Einführung der Ganztagsschulen standen ohne Sonderregelung bisher nur noch die Nachmittagsstunden ab 16 Uhr nach einem langen Schultag zur Verfügung.
„Die Kolleg*innen mit eigenem Kind hatten immer den Druck, Termine zu vergeben, wenn das eigene Kind bereits wartet oder den Terminkalender vormittags nicht füllen zu können.
Ohne Corona hätte ich bestimmt noch lange gebraucht, um zu entdecken, dass ich gern teletherapeutisch arbeiten würde, etwa mit den Patient*Innen, die noch keinen Hausbesuch brauchen, aber es aufgrund ihrer Symptome tagesformabhängig manchmal nicht in die Praxis schaffen. Und ich weiß jetzt, dass wir all die Jahre im Sommer, wenn alle Patienten in Urlaub fahren, eigentlich ein Anrecht auf Kurzarbeitergeld gehabt hätten.“
Welche Unterstützung gibt es?
„Meine Kolleg*innen sind sehr kooperativ und versuchen, das Beste aus der Lage zu machen. Auch sie haben sich mehr Information gewünscht und mitgesucht und Lösungen für einige der Schwierigkeiten erdacht. Ich bin sehr froh, dass ich zwar die Inhaberin der Praxis bin, aber das Team mir ein stabiles Fundament bietet, um mir Entscheidungen zu ermöglichen. Eine Angestellte hat von sich aus unbezahlten Urlaub genommen, weil sie es finanziell kann. Andere Praxeninhaber*innen haben sich genauso ratlos mit mir in Kontakt gesetzt und jede Person hat dann individuell entschieden, wie sie weitermacht.
Mein privates Umfeld ist sehr hilfreich bei der Informationsbeschaffung und versucht, mir gut beizustehen. Da ich seit einigen Wochen fast keine physischen Kontakte außerhalb meiner WG habe, bin ich im Moment zuversichtlich, corona-negativ zu sein.“