Selbständige Frauen und die Pandemie
Berlin, Juli 2021. Nicht alle sind von der Pandemie gleich betroffen. Zwischen den Geschlechtern gibt es große Unterschiede. Das gilt besonders für selbständige Frauen. Die Gründerinnenzentrale möchte zeigen, an welchen Stellen angesetzt werden muss, um dieses Problem zu lösen.
Im März 2020 war schlagartig alles anders. Die bisher größte Krise seit unserer Eröffnung vor 15 Jahren stellte unseren Geschäftsbetrieb auf den Kopf und veränderte unsere Arbeit nachhaltig.
Innerhalb kürzester Zeit stellten wir unsere Veranstaltungen auf Online-Angebote um, verschickten einen wöchentlichen Newsletter mit den aktuellen Informationen und betreuten telefonisch und per Online-Gespräch plötzlich nicht nur Gründerinnen, sondern auch langjährige Unternehmerinnen. In unsere Veranstaltungsplanung beziehen wir auch heute noch die Wünsche unser Kundinnen mit ein und richten unsere Formate laufend daran aus.
Flexibilität und Erfindungsreichtum
Es war erstaunlich zu sehen, wie schnell nach dem ersten Schock die ersten Frauen nach neuen Wegen suchten, ihre Angebote umstellten und verlagerten und ihr Netzwerk zur Unterstützung aktivierten. Unsere Veranstaltungen waren besser besucht als vorher, weil der Bedarf an Austausch so hoch wie nie zuvor war.
Einige glückliche Frauen konnten sich auf die veränderten, erschwerten Bedingungen einstellen, sich anpassen und blieben finanziell relativ unbeschadet. Doch leider gilt das nicht für alle.
Selbständige Frauen stark benachteiligt
Es wurde an anderen Stellen schon darüber geschrieben, dass Frauen stärker durch die Pandemie belastet sind.
Der Blick der Gründerinnenzentrale gilt bei den Folgen der Pandemie natürlich den selbständigen Frauen. Der DIW-Wochenbericht vom April trägt den bezeichnenden Titel „Warum vor allem weibliche Selbstständige Verliererinnen der Covid-19-Krise sind“. Und unsere Erfahrungen aus den letzten eineinhalb Jahren bestätigen die Ergebnisse der Untersuchung.
Branchenbezogene Ungleichheit
Unter den Selbständigen haben laut der Untersuchungen selbständige Frauen höhere Einkommenseinbußen und sind psychisch stärker belastet als Männer. Das verwundert uns nicht. Viele unserer Kundinnen wurden im letzten Jahr schnell in längst überholte Geschlechterrollen zurückgedrängt, was ihnen das Fortführen der selbständigen Tätigkeit sehr erschwerte. Auch ist ein Großteil von ihnen in Branchen wie personenbezogene Dienstleistungen, Kultur, Handel oder Gastronomie tätig und konnte wegen der Eindämmungsmaßnahmen nicht arbeiten. Finanzielle Sorgen vergrößerten Erkrankungen durch Angst und Depression.
Fördermittel zugeschnitten auf „männliche“ Unternehmen
Bei den staatlichen finanziellen Hilfen zeigte sich einmal mehr, wie sehr das Verständnis von Selbständigkeit und Unternehmer(!)tum von Faktoren geprägt ist, die auf viele selbständige Frauen nicht zutreffen.
Zugangskriterien wie „hauptberufliche Selbständigkeit“, „nur für betriebliche Kosten zu verwenden“ und „Beantragung durch Steuerberater*innen nötig“ haben überproportional Frauen von den Fördermitteln ausgeschlossen.
Gründerinnen beginnen ihre Selbstständigkeit zu zwei Dritteln als Nebenerwerbstätigkeit[1]. Viele arbeiten mit geringen betrieblichen Kosten. Für sie gab es bis zur Neustarthilfe gar keine Unterstützung. Viele selbständige Frauen können sich aufgrund geringer Umsätze gar keine Steuerberatung leisten und/oder konnten kurzfristig keine finden, um Überbrückungshilfen zu beantragen. Und Frauen haben erfahrungsgemäß knappere finanzielle Reserven. Deshalb kam die mit großer zeitlicher Verzögerung ausgezahlte Novemberhilfe oft zu spät.
Diese Fakten sind den verantwortlichen Ministerien bekannt. So wurde schon 2014 auf einem Kongress der bundesweiten gründerinnenagentur – bga festgestellt: „Hilfreich ist ebenso in allen Förderprogrammen eine Berücksichtigung der Nebenerwerbsgründungen, deren Relevanz als Sprungbrett zu stabilen Unternehmen inzwischen erwiesen ist.“[2] Einnahmen aus einer nebenberuflichen Selbständigkeit decken für viele Frauen einen wichtigen Teil ihres Lebensunterhalts.
Gründer*innen vollkommen vergessen
Ebenso problematisch für viele unserer Kundinnen war der Vergleichswert der vergangenen Umsätze. Viele hatten zum Stichtag 2019 noch gar nicht gegründet oder befanden sich in der Aufbauphase. In diesen Fällen gab es überhaupt keine Corona-Hilfe, als ob diese Unternehmen gar nicht existieren würden und keine Kosten zu decken wären.
All diese Frauen wurden an die Grundsicherung der JobCenter verwiesen. Während viele Selbständige also als „Unternehmen“ Hilfe erhielten, wurden alle, die keine Förderung bekamen, aus der Rolle als Unternehmerin in die der „bedürftigen Person“ gedrängt. Viele bekamen dort auch keine Hilfe, weil weitere Einkommen aus dem Haushalt angerechnet wurden. Hier brauchen selbständige Frauen eine unabhängige Hilfe.
Einzelne Schicksale mit großer Wirkung
Wir können von mehreren Fällen berichten, die beispielhaft für viele andere stehen: Einer der ersten verzweifelten Anrufe kam von der Geschäftsführerin einer Kultureinrichtung für Kinder. Der Frau war ein KfW-Kredit abgelehnt worden – wegen eines (im Vergleich zu Umsätzen in Millionenhöhe minimalen) Bilanz-Minus in vierstelliger Höhe im Jahr 2019.
Natürlich sollen mit den Corona-Hilfen keine Unternehmen gefördert werden, die nicht tragfähig sind und es wahrscheinlich auch nie werden. Für diese wurde das Ausschlusskriterium des negativen Geschäftsergebnisses festgelegt. Es wäre in unseren Augen absolut notwendig gewesen, dass hier im Einzelfall pragmatischer abgewogen wird.
Auch der Lagebericht einer Logopädin aus dem April 2020 verdeutlicht, mit welchen Problemen Unternehmerinnen zu kämpfen hatten.
Momentan erreichen uns aus unserem Kundinnenkreis vermehrt Nachrichten, dass Wachstumsschritte zurückgenommen werden und die Selbständigkeit wieder verkleinert wird, um das Risiko zu begrenzen.
Eine Friseurin musste ihren Laden aufgeben. „Ich kann diese Last nicht mehr tragen.“ 25 Jahre war sie erfolgreich, aber 2020 hat ihr wirtschaftlich das Genick gebrochen. Anscheinend war sie nach dem ersten Lockdown laut ihrer Steuerberaterin „zu fleißig“. Sie musste deshalb die schon bewilligte Coronahilfe zurückzahlen, obwohl sie natürlich starke Umsatzeinbußen hatte, während die Fixkosten weiterliefen. Sie versucht es nun als mobile Friseurin.
Eine Unternehmensberaterin, der wir erst 2019 zur ersten festen Angestellten gratulierten, entließ diese Anfang des Jahres. Sie sagt: „Als kleines Unternehmen kann ich solche Krisen besser auffangen, als wenn ich noch für andere verantwortlich bin.“
Doch nicht allen ist es gelungen, wenigstens etwas zu retten. Eine Unternehmerin begleiteten wir bis zum Ende und unter Tränen in die Auflösung ihres Familienunternehmens. Sie räumte nach monatelangem Irrweg, Fehlinformationen und verweigerter Hilfe ihre Geschäftsräume und entließ 21 Angestellte.
Fatale Wirkungen der mangelnden Unterstützung von selbständigen Frauen auf die Zukunft
Frauen gehen den Aufbau einer Selbständigkeit oft mit großer Vorsicht und Umsicht an. Sie befürchten, ihre Existenz nicht sichern zu können und genau das ist im letzten Jahr eingetreten und hat viele Bedenken der Gründerinnen bestätigt. Den Ausfall von Einnahmen zur Deckung des Lebensunterhaltes eines Großteils der selbständigen Frauen als nicht förderungswürdig zu deklarieren, zeigt, wie wenig ernst Selbständigkeit von Frauen genommen wird. Dass ausgerechnet sie, die schon bei der Gründung mit mehr Hürden zu kämpfen haben, hier kaum angemessen berücksichtigt wurden, ist eine sehr entmutigende Botschaft an gründungswillige Frauen.
Das DIW schreibt dazu: „Wenn sich selbstständige Frauen während eines systemischen Schocks durch politische Maßnahmen zu wenig unterstützt fühlen, riskiert die Gesellschaft, dass sie sich von dieser Erwerbsform abwenden. Der Abstand zwischen den Geschlechtern bei der Selbstständigkeit dürfte sich dann wieder vergrößern. Eine solche Trendumkehr könnte sich negativ auf das Wachstum in Teilen der Wirtschaft auswirken. Statt einer Vielzahl von Programmen würde den Selbstständigen ein einziges, fortlaufendes Instrument besser helfen, welches in Monaten mit großen Umsatzverlusten eine stetige und verlässliche finanzielle Unterstützung gewährt, die über die fixen Betriebskosten hinaus in begrenztem Umfang auch die Kosten des Lebensunterhalts deckt. Die Abfederung finanzieller Verluste könnte zudem psychische Belastungen verringern.“
Es nützt eben nicht viel, wenn mit sogenannten „Vorbildunternehmerinnen“ und anderen Projekten Frauen bestärkt werden zu gründen und das Thema anschließend nicht weiter- und mitgedacht wird. Diese Krise hat viel der Ermutigungsarbeit zerstört, die Projekte wie wir seit Jahren leisten. Wir müssen uns nicht wundern, wenn es nach dem zaghaften, aber motivierenden Anstieg an weiblichen Gründungen jetzt zur Stagnation oder gar zum Rückgang kommt.
Verstärkung gesellschaftlicher Ungleichheiten
Wir wissen, dass Gründerinnen und selbständige Frauen nicht die Einzigen sind, die in dieser Zeit bei den Maßnahmen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Wie viele andere Krisen auch verstärkt die Pandemie gesellschaftliche Ungleichheiten. Diejenigen, die schon unter „normalen“ Umständen benachteiligt sind, werden es jetzt noch stärker. Zum Beispiel leiden behinderte, geflüchtete, inhaftierte, queere und obdachlose Menschen stärker unter den Auswirkungen der Pandemie als andere. Die Broschüre „Zwei Meter Abstand – Perspektiven zur Pandemie“ enthält Texte verschiedener Betroffenengruppen, darunter des Autonomen Frauenzentrums e.V. zum Thema häusliche Gewalt. Jetzt ist auch eine zweite Ausgabe erschienen.
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[1] Gründerinnen und Unternehmerinnen in Deutschland – Daten und Fakten IV. https://www.existenzgruenderinnen.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/39-Gruenderinnen-Unternehmerinnen-Deutschland-Daten-Fakten-IV.pdf?__blob=publicationFile
[2] Wirtschaft, Wandel, Weichenstellung – Unternehmensgründung von Frauen https://www.existenzgruenderinnen.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/40-Wirtschaft-Wandel-Weichenstellung-Unternehmensgruendung-von-Frauen.pdf?__blob=publicationFile